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Nation und Fußball seit 1949

Was hatten die drei deutschen Weltmeistertitel 1954, 1974 und 1990 gemeinsam? Dieser Frage ging der Erlanger Historiker Prof. Dr. Gregor Schöllgen bei den „Fürther Gesprächen“ an, zu denen der Ludwig-Erhard-Initiativkreis eingeladen hatte.

Die Antwort, die Schöllgen in seiner Analyse gab, war ebenso überraschend wie naheliegend: In allen Fällen spiegelte der Sieg das politische Empfinden der Zeit, das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land. Die Truppe um Fritz Walter, die 1954 erstmals den Titel holte, verstand sich als Mannschaft aller Deutschen, denen damals die Wiedervereinigung noch als erstrebenswertes, realistisches Ziel galt, obgleich die Teilung des Landes inzwischen vollzogen und die Mannschaft im übrigen rein westdeutsch zusammengesetzt war. Ganz anders die Elf um Franz Beckenbauer, die 1974 in der Bundesrepublik und für diese den Weltmeistertitel holte. Niemand glaubte damals noch an die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Und dann kam alles ganz anders: Im Zuge der Implosion des Sowjetunion und ihres Imperiums öffnete sich unerwartet die Tür und vor diesem Hintergrund die Chance für den dritten Titel. Obgleich die Vereinigung noch nicht vollzogen, der Fußballverband der DDR noch nicht aufgelöst und in Italien einmal mehr eine rein westdeutsche Mannschaft antrat, stand der Titel von 1990 auch für die Erwartungen und Hoffnungen, die die Deutschen mit der Zukunft ihres vereinten Landes verbanden.

Mit welcher Einstellung - fragte Schöllgen zum Schluss - müssten also die Mannen von Klinsmann antreten, wenn es in wenigen Monaten zum zweiten Mal in der Bundesrepublik und zum ersten Mal im vereinigten Deutschland um den Titel geht? Folge man der Logik von Fußball und Nation, dann gelte: Je deutlicher die Einstellung der Mannschaft die Lage des Landes reflektiert, um so größer die Erfolgsaussichten. Und wie ist die Lage? Jedenfalls besser als die Stimmung, findet Schöllgen: 15 Jahre nach der Vereinigung sei Deutschland ein geachteter und stark gefragter Partner in der Welt. Eine Nationalmannschaft, die dieses Profil mit einem angemessenen Selbstbewusstsein vertrete, sollte eigentlich den Erfolg auf ihrer Seite haben. Vielleicht sorgt ein vierter Titel dafür, dass die Deutschen auch mental und emotional endgültig das Abseits aufheben.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2006, Seite 47

 
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